Im Interview: Dr. Matthias Sckuhr, seit 1. Januar 2025 Chief Executive Officer (CEO) von Freudenberg Sealing Technologies (FST).


Kompakt
Ausblick: Dr. Matthias Sckuhr schätzt die wirtschaftlichen Aussichten von FST als solide ein. Das Unternehmen plant, seine Präsenz in China und Indien zu stärken und sieht Wachstumschancen in den USA, insbesondere in der allgemeinen Industrie.
Investitionen in Innovationen: FST investiert erheblich in Automatisierungs- und Effizienzprojekte, darunter autonome mobile Roboter (AMR), automatische Sichtkontrollen (AVC) und AutoStore-Systeme. Außerdem wird in Weinheim ein neues Rohmischwerk gebaut.
Resilienz und Anpassungsfähigkeit: Die Resilienz von FST basiert auf den Mitarbeitenden, der finanziellen Stabilität und der breiten Marktpositionierung. Das Unternehmen legt Wert auf Anpassungsfähigkeit und eine proaktive Vorbereitung auf zukünftige Entwicklungen.
Globale Strategie: FST verfolgt einen „Local-for-Local”-Ansatz. Neben der Fertigung werden auch Produkte in den Regionen entwickelt, in denen die Kunden ansässig sind. Diese Strategie hilft dem Unternehmen, schnell auf regionale Anforderungen und Kundenbedürfnisse zu reagieren.
Herr Dr. Sckuhr, wie bewerten Sie aktuell die wirtschaftlichen Perspektiven für FST und seine Zielmärkte?
Unsere wirtschaftlichen Aussichten sehe ich als solide. Wir werden uns in China und Indien verstärken. Dort fertigen wir für lokale Kunden, diese fassen ihrerseits in Europa Fuß. Hier werden wir sie dann von unseren europäischen Standorten aus bedienen. Auch in den USA bestehen Wachstumschancen für uns, insbesondere in der allgemeinen Industrie. FST ist aus meiner Sicht nach wie vor gut aufgestellt und gut vorbereitet für die Zukunft.
Welche Investitionen in Innovationen sind über die bereits begonnenen Inkubatoren hinaus geplant?
Die Frage nach den Investitionen würde ich gerne etwas ausweiten, denn sie suggeriert möglicherweise, dass wir nur in völlig neue Produkte investieren – wie beispielsweise die Inkubatoren. Gerade in den letzten Jahren flossen große Summen – genauer gesagt etwa ein Drittel unseres gesamten Investitionsvolumens – in Automatisierungs- und Effizienzprojekte. Besonderes Augenmerk haben wir auf autonome mobile Roboter (AMR) und automatische Sichtkontrollen (AVC) gelegt. Autostore Systeme, die das Lagervolumen optimal ausnutzen sind ein weiterer Bereich, in dem wir bei Corteco und ISD investiert haben und werden. Zudem haben wir ein erhebliches Budget für den Bau eines neuen Rohmischwerks in Weinheim bereitgestellt.
Die Realisierung des Projekts Ovid ist Teil unserer Unternehmensziele für die aktuelle Strategieperiode, die bis Ende 2026 läuft. Wo stehen wir damit Mitte 2025?
Hier sind wir auf einem sehr guten Weg. Das Projekt Ovid war zugleich Startschuss und Guideline für FST, wie wir die Transformation in Richtung Elektromobilität beziehungsweise neuer Antriebsformen realisieren wollen. Wir haben schon viel davon umgesetzt. So haben wir sowohl unser bestehendes als auch das potenzielle Produktportfolio grundlegend analysiert und unser vorhandenes Geschäft sinnvoll segmentiert. Unsere „Cash Cows” – also Produkte, mit denen wir ohne größere Investitionen gute Umsätze erzielen – funktionieren gut. Diese Hauptumsatzträger sind jetzt in der Transformationsphase umso wichtiger, weil wir uns mit neuen Komponenten und Modulen erst einmal am Markt positionieren und profilieren müssen.
Mit den Inkubatoren läuft es sehr gut, auch wenn wir vielleicht etwas langsamer vorankommen als ursprünglich geplant. Allerdings hat das mit dem allgemein reduzierten Tempo der Transformation zu tun, und daher sind wir sehr zufrieden. Zudem gelten die Ziele, die wir uns mit Ovid gesetzt haben, bis 2035; wir liegen also gut im Zeitplan. Bis dahin wollen wir unsere Umsätze auf etwa 3,8 Milliarden Euro steigern. In Italien haben wir gerade einen Auftrag zur Lieferung von Cell Caps für Batterien – einer der Inkubatoren – erhalten. Das freut uns ganz besonders, denn gerade von den Cell Caps versprechen wir uns viel. Wir haben uns gegen chinesische Mitanbieter behauptet und den Zuschlag erhalten.

Wie resilient ist FST und was können wir tun, um noch resilienter zu werden?
Resilienz ist ein sehr gutes Stichwort. Es steht dafür, wie gut wir uns behaupten können, wie widerstandsfähig wir als Unternehmen sind. Zunächst einmal hat Resilienz sehr viel mit unseren Mitarbeitenden zu tun – sowohl die Geschäftsleitung als auch die Führungskräfte in Divisionen und Corporate Lead Functions setzen ein sehr hohes Vertrauen in diese.
Adaptivität – also die Bereitschaft, sich an Veränderungen anzupassen – hilft dabei, die Resilienz des Unternehmens zu erhöhen. Wir haben bereits bewiesen, dass wir uns auf sich verändernde Situationen und Marktlagen einstellen und uns gleichzeitig vorausschauend auf potenzielle Änderungen vorbereiten. Weiterhin sind wir finanziell ein sehr solides Unternehmen und unsere breite Aufstellung in den unterschiedlichsten Marktbereichen trägt auch maßgeblich zu einer hohen Resilienz bei.
Insgesamt denke ich, dass die Zusammenarbeit unserer hoch motivierten Mitarbeitenden, unser Erfolg in bestehenden Geschäften sowie die Zukunftsperspektiven für neue Produkte viel dazu beitragen, uns resilienter zu machen. Im Moment mag es regionale Verschiebungen geben, die Transformation hin zur Elektromobilität für manche Unsicherheiten sorgen. Aber wir sehen gerade in den Märkten der allgemeinen Industrie Licht am Ende des Tunnels. Auch in puncto Digitalisierung machen wir Fortschritte, die uns widerstandsfähiger machen. Manchmal hilft es schon, Dinge einfach mal anders zu machen als bisher, nicht in unserer Komfortzone zu verharren, sondern uns ständig zu hinterfragen, ob das, was wir tun, auch das Richtige ist.
Stichwort globale Wirtschaft: Wie beurteilen Sie die gegenwärtige makroökonomische Lage und welche Auswirkungen erwarten Sie für das Dichtungsgeschäft?
Wir sind breit aufgestellt und in allen Branchen vertreten, was per se eine sehr gute Ausgangslage darstellt. Natürlich erleben einzelne Segmente im Augenblick eine Delle, dafür wachsen andere bereits wieder. Ich habe schon darüber gesprochen, dass wir gerade in der allgemeinen Industrie einen leichten Anstieg in den Auftragsbüchern verzeichnen.
Der europäische Maschinenbau wird teilweise nach Indien und China abwandern. Das heißt, beim Exportgeschäft von Europa in andere Weltregionen werden wir einen Rückgang hinnehmen müssen. Umso wichtiger ist es, dass wir in allen Weltregionen nicht nur produzieren, sondern auch neue Produkte entwickeln können. Die Kunden erwarten überall auf der Welt schnelle Reaktionszeiten von uns. Es werden unterschiedliche, regional geprägte Anforderungen an uns gestellt, die wir aus Europa heraus in Zukunft nicht mehr erfüllen können.
Wenn wir auf die Automobilindustrie blicken, schreitet die Transformation vom Verbrennungsmotor hin zu Hybriden oder zu batterieelektrischen Fahrzeugen voran. Allerdings ist dieser Wandel in den einzelnen Regionen unterschiedlich stark ausgeprägt, auch was den zeitlichen Rahmen betrifft. Aber der Wandel hat begonnen und wir sind mit unseren Produkten gut vorbereitet.
Gerade Hybridfahrzeuge sind für uns besonders vielversprechend und ein echter Beschleuniger, weil darin letzten Endes beide Antriebsvarianten enthalten sind: sowohl ein Verbrenner als auch ein E-Motor. Für beide liefern wir Komponenten. Das ist für uns eine ausgezeichnete Übergangstechnologie, bis die Transformation vollzogen ist.
Welche Strategien verfolgen Sie, um unser Unternehmen in einem unbeständigen globalen Markt wettbewerbsfähig zu halten?
Grundsätzlich ist es wichtig, die Balance in den Regionen zu halten. Wir müssen dort, wo wir Umsätze generieren, auch entwickeln und herstellen. Wir fertigen seit vielen Jahren nach dem „Local for Local“-Prinzip. Wo unsere Kunden produzieren, produzieren auch wir. Neu ist aber, dass wir zukünftig eben auch viel mehr vor Ort entwickeln, damit wir schneller marktfähig und beim Kunden sind. So leben wir Kundenähe.
Wie bewerten Sie die aktuelle wirtschaftliche Entwicklung in Ländern wie beispielsweise China und Indien? Welche Chancen sehen Sie dort für FST?
Wir wachsen aktuell in Indien, wir wachsen in China. Wenn wir selbständiger vor Ort entwickeln und fertigen, können wir noch stärker zulegen. Bisher haben wir in Europa und den USA entwickelt, dann unsere Fertigung in die Weltregionen verlagert, in denen auch unsere Kunden ansässig sind. Allerdings gibt es inzwischen viele große Kunden in Indien und China, die sich ihrerseits global aufstellen und beispielsweise in Europa produzieren.
In China haben wir Produkte für Batteriefahrzeuge im Bereich Thermomanagement entwickelt, und bereits fünf Serienaufträge erhalten. Diese Bauteile fertigen wir in Europa oder Nordamerika nicht. Die Produkttechnologien werden wiederum mit den Kollegen weltweit geteilt, das heißt, der Austausch funktioniert in alle Richtungen.
In der aktuellen Strategieperiode steht das Thema Südostasien ganz weit oben in der Prioritätenliste. Wie weit sind dort mit unseren Expansionsbestrebungen gediehen?
Unser Fokus liegt darauf, das Servicegeschäft in Südostasien auszubauen. Dies gestaltet sich etwas schwieriger, als wir ursprünglich erwartet hatten. Der Markt im Servicebereich unterscheidet sich in Südostasien stark von den Märkten, die wir sonst bedienen. Wenn wir an Corteco denken: Ersatzteile für die meistverkauften Automobile – beispielsweise von Honda oder Toyota – liefern dort oftmals nicht wir, sondern unser japanischer Joint-Venture-Partner NOK. Die Potenziale für unsere Kunden wie Mercedes, BMW oder Ford sind in Südostasien deutlich kleiner. Umso schwieriger ist es für uns, einen Fuß in die Tür zu bekommen. Aber wir bleiben dran, es gibt erste erfolgversprechende Ansätze. Am Ende der aktuellen Strategieperiode 2026 werden wir die Lage neu bewerten.
Insgesamt wachsen wir in Südostasien. So fertigen wir inzwischen in unserer indonesischen Partnerproduktion in Batam mehr als nur Radialwellendichtringe – beispielsweise Membranen.
Trotz aller schwierigen Bedingungen: FST will weiter wachsen. Welche Marktsegmente und welche Regionen haben Sie dabei im Fokus?
Über China, Indien sowie Südostasien sprachen wir bereits. Unsere Kunden werden auch außerhalb ihrer bisher angestammten Regionen zunehmend global auftreten.
Was Markt- und Produktsegmente anbelangt, werden wir im Wesentlichen bei Marineanwendungen und in der Luftfahrt wachsen. Auch das Thema Wasserstoff ist sehr wichtig für uns. Wir betrachten hier die gesamte Wertschöpfungskette des Wasserstoffs, also von der Fertigung über Lagerung und Transport bis zur Anwendung. Unsere Inkubatoren nehmen Fahrt auf. Gleiches gilt für das Servicegeschäft von ISD und Corteco.
Welche geopolitischen Risiken halten Sie für besonders relevant für FST und wie planen Sie, diesen Risiken entgegenzuwirken?
Ich sehe eine große Gefahr darin, dass die internationale Ordnung, die in den vergangenen Jahrzehnten entstanden ist, zerstört wird. Ein Blick in die Geschichtsbücher zeigt deutlich, dass Abschottung niemals ein Land dauerhaft vorangebracht hat. Mauern, Grenzen, Zölle mögen allenfalls kurzfristig etwas bewirken, um sich so dem globalen Wettbewerb zu entziehen. Daher bleibt es bei unserer Strategie: Dank unseres globalen Footprints entwickeln und produzieren wir lokal für den jeweiligen Markt. Gleiches hören wir zurzeit auch von unseren Kunden, wenn es um Zölle geht. Die damit einhergehenden Kostensteigerungen würden uns fraglos – wie andere Firmen auch – treffen. Solche Kostensteigerungen werden an den jeweiligen Kunden weitergegeben.
Natürlich rütteln die Diskussionen über nationale Zölle beziehungsweise internationale Handelshemmnisse die Weltwirtschaft im Augenblick ziemlich auf. Bei all den massiven und vor allem erratischen Veränderungen ist es schwer, den Überblick bewahren. Unser SAP-System ist eine hervorragende Basis, die entsprechende Transparenz zu schaffen. Für uns zählt vor allem: Wir müssen unsere Kunden zufriedenstellen und genau dort sein, wo diese auch sind. Und wir müssen uns flexibel an neue Gegebenheiten anpassen, adaptiv bleiben. Das waren wir schon immer und werden es auch in Zukunft sein. Wichtig ist in diesem Zusammenhang übrigens auch, dass wir in den unterschiedlichen Regionen lokalen Mitarbeitenden die Führung überlassen. Kulturelle und sprachliche Kenntnisse sind von enormer Bedeutung. Die lokalen Kunden haben mitunter spezifische Ansprüche, diese müssen bedient werden. Genau das können wir nicht mehr aus Europa oder Nordamerika heraus erledigen, jedenfalls nicht in der geforderten Geschwindigkeit.
Wovon gehen Sie aus: Setzt die Elektromobilität weltweit, von wenigen Regionen abgesehen, ihren Aufwärtstrend fort?

Ja, dieser Trend wird sich definitiv fortsetzen. Daran führt kein Weg vorbei – spätestens, wenn die Anschaffungspreise für Elektrofahrzeuge mit denen für Verbrenner gleichziehen oder sogar günstiger werden. Die reinen Betriebskosten von Elektrofahrzeugen sind ohnehin geringer, daher fallen preisliche Argumente gegen den Kauf eines batterieelektrischen Fahrzeugs zunehmend weg. Dies gilt insbesondere für Europa, wo die meisten Menschen weniger als 100 Kilometer am Tag zur Arbeit fahren, was sich in puncto Reichweite mit einem Elektrofahrzeug mühelos schaffen lässt.Davon abgesehen wird auch die Ladeinfrastrukturkontinuierlich ausgebaut und verbessert. Wer zu Hause laden kann, ist noch mehr im Vorteil.
Die Elektromobilität wird sich regional in unterschiedlichen Ausbaustufen entwickeln. In China ist sie schon sehr weit gediehen, dort nehmen auch gerade die Hybridfahrzeuge zu,da auch in China die Anfahrtswege zur Arbeit länger werden. In den USA wird sich der Trend zur Elektromobilität ebenfalls fortsetzen, wenngleich möglicherweise in einem reduzierten Tempo.
Als Unternehmen wünschen wir uns, dass die Politik sich global auf ein eindeutiges Datum festlegt, wann der Verbrenner endgültig aus dem Rennen ist. Sonst wird es sehr schwer, sinnvoll zu planen. In Europa sind wir aktuell nicht ganz vorne dabei, wenn es um die Batterieentwicklung geht. Aber wir geben Gas, um den Vorsprung aufzuholen. Dass es vorangeht, merken wir beispielsweise an Produkten wie unseren Cell Caps für Batterien, die wir in Pinerolo fertigen.
Was bedeuten neue Produkte für unsere Fertigungstechnologien? Bisher haben wir beispielsweise in Pinerolo Ventilschaftdichtungen produziert, jetzt auch Cell Caps. Braucht es dafür neue Anlagen?
Dafür benötigen wir tatsächlich andere Anlagen als bisher. Wir haben in Pinerolo mit einer kleinen Musteranlage begonnen. Darauf bauen wir nun auf, denn die ersten Kundenaufträge sind da. Bei den neuen Anlagen in Italien handelt es sich um modulare Systeme. Der Vorteil ist: Wir können bei geänderten Marktbedingungen auch andere Produkte fertigen. Diese Investitionen in Pinerolo sind übrigens nochmals ein sehr gutes Beispiel für unsere Investitionen in Prozesse und Technologien.
Von Inkubatoren war in den letzten Jahren häufig die Rede, aber wie sieht es denn bei unserem bestehenden Geschäft aus?
Die Inkubatoren sind mit Blick auf die Transformation und neue Antriebstechnologien gut und wichtig. Sie liefern ohne Frage einen bedeutenden Beitrag zur Zukunftssicherung des Unternehmens. Das heißt aber ganz und gar nicht, dass wir nichts mehr für Produkte in anderen Branchen investieren! Die einzelnen Entwicklungen sind vielleicht etwas weniger spektakulär als zum Beispiel Busbars oder Thermal Barriers. Also eher Evolution als Revolution. Aber auch Produkte aus dem bestehenden Portfolio kommen in neuen Anwendungen zum Einsatz, sei es in Elektrolyseuren, Offshore-Windkraftanlagen oder in der Landwirtschaft, um nur ein paar Beispiele zu nennen. Wir dürfen nicht vergessen: Jeder und jede Einzelne von uns kommt täglich mit unseren sehr unterschiedlichen Produkten in Berührung. Ob morgens beim Zähneputzen, im Flugzeug, im Auto, auf dem Fahrrad, am Kaffeevollautomaten, auf dem Zahnarztstuhl oder im Traktor: Unsere Dichtungen sind essenziell. Würden sie plötzlich in den Streik treten, würde die Welt sich vielleicht weiterdrehen, aber es würde vieles nicht mehr funktionieren.
Wie ist es um unsere globale Marktposition im Bereich Erneuerbare Energien bestellt?
Auch hier sehe ich uns ausgezeichnet aufgestellt. Beispiel Wasserstoff: Wir hatten uns anfangs auf Elektrolyseure, also die Herstellung von Wasserstoff, konzentriert. Diesen Blickwinkel haben wir geöffnet und betrachten jetzt die gesamte Wertschöpfungskette, also von der Produktion über Lagerung und Transport bis zur Anwendung. Überall liegen große Potenziale, die wir heben möchten. Den Hauptanteil im Wasserstoffgeschäft für FST wird durch das Gaskets-Geschäft dargestellt werden. Für die unterschiedlichen Arten von Elektrolyseuren sind wir mit unserer Material- und Ingenieurskompetenz sehr gut gerüstet. Auch hier gilt allerdings: In Indien und China müssen wir diesbezüglich noch wachsen. China ist bei der alkalischen Elektrolysetechnologie (ALK ) führend, während sich Europa bisher mehrheitlich auf die Protonenaustauschmembran(PEM)-Elektrolyse konzentriert. Wenn die Welt ihre Nachhaltigkeitsziele erreichen will, führt kein Weg am Wasserstoff vorbei. Die Elektrolyse ist eine der Möglichkeiten, ihn zu generieren.

Welche Erwartungen haben Sie an den neuen US-Präsidenten und dessen Energiepolitik? Was könnten politische Weichenstellungen für unsere Geschäftsstrategie in den USA bedeuten?
Auch in den USA gibt es Energiecluster. Aber darauf liegt momentan nicht das Hauptaugenmerk der Politik. Für uns gilt, dass wir uns jetzt stärker auf Europa und China fokussieren können, bis die entsprechenden Technologien in den USA wieder mehr in den Fokus rücken. Darüber hinaus sind viele Verträge, die wir mit Kunden in Nordamerika geschlossen haben, langfristig angelegt, so dass diese in den nächsten dreieinhalb Jahren voraussichtlich nicht betroffen sein werden. Was danach kommt, müssen wir abwarten.
Ist aus Ihrer Sicht eine strategische Teilung denkbar: In Europa legen wir den Schwerpunkt auf „grüne“ Komponenten für Wasserstoff, Wind und Solar, in den USA dagegen auf Produkte für Kernenergie?
Aus meiner Sicht ergibt es wenig Sinn, über eine solche strategische Teilung nachzudenken. Der Markt wird das regeln. Wir liefern heute aus unserem kanadischen Standort Tillsonburg heraus ohnehin lediglich Teile für den Wartungsvorgang bei bestehenden Atomkraftwerken.
In Europa werden voraussichtlich zunehmend PEM- und alkalische Elektrolyseure Fahrt aufnehmen. Dafür müssen wir die entsprechenden Dichtungen liefern. Gleichzeitig richten wir unseren Blick weit über Europa und die USA hinaus. Indien ist beispielsweise stark im Kommen beim Wasserstoff und will den mit H2 betriebenen Verbrennungsmotor weiterentwickeln. Dieses Thema spielt in Europa und Amerika eine untergeordnete Rolle. Für uns gilt: Es ist wichtig, in der jeweiligen Region zu entwickeln und zu fertigen, was dort benötigt wird. Hierbei profitieren wir ganz erheblich von unserer guten globalen Vernetzung und unserem weltweit vorhandenen Fertigungs-Footprint.
Stichwort Talent Management, Stichwort Fachkräftemangel: Was macht FST, um gute Mitarbeitende zu bekommen, um als Arbeitgeber attraktiv zu sein?

Ich bin der Meinung, dass FST bereits heute ein attraktiver Arbeitgeber ist. Wir bieten den Mitarbeitenden einen hohen Grad an Verantwortung, sie haben viele Gestaltungsmöglichkeiten in ihren Zuständigkeitsbereichen. Wir bilden unsere Mitarbeitenden kontinuierlich weiter, unsere Schulungsmethoden sind flexibler geworden und wir bieten eine große Bandbreite an Inhalten an. Mitarbeitende können sich übrigens nicht nur vertikal weiterentwickeln, sondern auch horizontal. Das heißt, sie vertiefen und erweitern ihr Fachwissen und verfolgen eine Expertenlaufbahn, bleiben aber in ihrer aktuellen Funktion und übernehmen keine Führungsposition.
Was ich in meinen fast 29 Jahren bei Freudenberg erlebt habe, was ich beibehalten und forcieren möchte, ist die Offenheit gegenüber neuen Ideen. Der respektvolle Umgang miteinander, insbesondere wenn man sich ehrlich die Meinung sagt. Das Zuhören und Akzeptieren, dass andere Mitarbeitende mit unterschiedlichen Erfahrungen und Ansichten andere Lösungsansatze haben, macht aus meiner Sicht ein Unternehmen attraktiv. Unlängst erzählte mir ein neuer Mitarbeiter, der bereits 20 Jahre Berufserfahrung mitgebracht hat, er habe an seinen bisherigen beruflichen Stationen in anderen Unternehmen noch nie eine solche Offenheit neuen Ideen gegenüber erlebt. Ein derartiges Feedback freut mich natürlich. Kann man Dinge besser machen? Ja, bestimmt und daran arbeiten wir. Subjektiv mag das unterschiedlich empfunden werden, aber unsere niedrige Fluktuationsrate spricht für sich.
Unser Talent-Management-Prozess ist sehr strukturiert aufgesetzt. Gleichzeitig sind die Mitarbeitenden selbst in der Pflicht, beispielsweise indem sie ihre persönlichen Profile im Workday pflegen und regelmäßig aktualisieren. Ich bin mir bewusst, dass der Umgang mit unserem System zeitintensiv ist. Ich bin mir auch bewusst, dass nicht alle meine Meinung teilen, dass sich der teilweise erhebliche Aufwand lohnt. Ein strukturierter Feedback Prozess ist ein extrem wertvolles Element bei der Mitarbeiterführung. Ein geschäftsgruppenübergreifendes Talent Management System wie Workday bietet weiterhin sowohl den Beschäftigten als auch dem Unternehmen zahlreiche Vorteile. Mitarbeitende können sich damit selbst ins rechte Licht rücken und gleichzeitig mit anderen bei Freudenberg netzwerken, was den Austausch von Ideen und Informationen fördert. Und es schafft Transparenz über die gesamte Organisation hinweg. Lässt sich so die Effizienz erhöhen? Mit Sicherheit!
Aufgrund der anhaltend schwierigen Wirtschaftslage, rückläufiger Auftragseingänge und hoher Vertriebs- und Verwaltungsgemein(SG&A)-Kosten hat FST weltweit Maßnahmen ergriffen, um die Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens zu stärken. Welche Maßnahmen sind das?
Globale Krisen, Verzögerungen bei der Transformation und regional reduzierte Investitionsvorhaben haben zu rückläufigen Auftragseingängen geführt – vor allem aus der Automobilindustrie. Eine Analyse unserer Vertriebs- und Verwaltungsgemeinkosten, der sogenannten SG&A-Kosten, hat im Vergleich mit unseren direkten Wettbewerbern ergeben, dass unsere Kosten deutlich höher sind. Der Abstand zu unserem nächsten Marktbegleiter liegt bei drei Prozent. Wir müssen also definitiv etwas tun, wenn wir nicht Marktanteile verlieren wollen. 2024 haben wir es mit Kostensparmaßnahmen geschafft, unseren SG&A- Prozentsatz um einen Punkt zu reduzieren. Wir prüfen und optimieren aktuell unsere Prozesse, schauen, was wir künftig nicht mehr oder anders machen müssen, wie wir die Digitalisierung noch besser nutzen können.
FST hat 2024 Maßnahmen ergriffen, um die Prinzipien der Operational Excellence noch besser umzusetzen (Stichwort: Projekt Areté). Wo stehen wir hier aktuell?
Operation Excellence bedeutet: Wir wollen und müssen uns in allen Bereichen verbessern, wollen effizienter werden. Das erfordert besser strukturierte und vernetzte Daten, damit wir Fortschritte bei der Digitalisierung machen. Und manchmal müssen wir Dinge, die wir tun, hinterfragen und sie vielleicht einfach gar nicht mehr machen.
Jedenfalls freue ich mich zu sehen, dass wir trotz sinkender Umsätze produktiver geworden sind. Zwar sind wir noch nicht ganz am gesteckten Ziel angekommen, aber 2025 sind wir gut unterwegs, auch wenn das Jahr schwierig angefangen hat. Wir haben in den letzten Jahren zwischen 25 und 30 Millionen Euro in Automatisierungsprojekte zur Effizienzsteigerung investiert. Diese müssen sich allmählich in den Ergebnissen niederschlagen.
FST hat sich ambitionierte Ziele in puncto Nachhaltigkeit gesetzt. Stehen wir – im Hinblick auf die herausfordernde ökonomische und politische Lage – nach wie vor zu diesen Zielen?
Ja, unsere Ziele gelten nach wie vor, bis 2045 wollen wir klimaneutral sein. 2024 konnten wir alle bis dahin avisierten Ziele erreichen. Auch 2025 befinden wir uns auf einem guten Weg. Unser Augenmerk beim Reduzieren unseres ökologischen Footprints liegt jetzt darauf, die Heizungen in unseren Betrieben mittelfristig zu modernisieren. Daran machen wir uns Schritt für Schritt und mit Sinn und Verstand. Das heißt, wir werden keine relativ neuen Heizungen austauschen, nur weil sie mit Gas oder Öl betrieben werden. Wir haben noch genügend Zeit, unsere Vorhaben bis 2045 umzusetzen. Wir beschäftigen uns sowohl mit Geothermie als auch mit Wärmepumpen. Mit Wärmerückgewinnung aus unseren Produktionsprozessen arbeiten wir ohnehin schon. Für alle neuen Anlagen, die wir anschaffen, ist Wärmerückgewinnung bereits eine feste Vorgabe. Unser neues Rohmischwerk, das in Weinheim entsteht, wird klimaneutral.
FST hat in den letzten Jahren viele Diversity & Inclusion(D&I)-Maßnahmen auf den Weg gebracht. Was haben diese bewirkt?
Hierüber sprechen wir sehr viel auf Geschäftsleitungsebene sowie mit unseren Führungskräften. Auch bei Besuchen an den Standorten thematisieren wir das regelmäßig. Schon die Tatsache, dass man offen redet, sehe ich als Verbesserung. Wenn Probleme auf dem Tisch liegen, bringt das bereits eine ganze Menge. In den einzelnen Werken stehen D&I-Ansprechpartner zur Verfügung, weil wir Betroffenen eine lokale Anlaufstelle bieten möchten. Uns ist wichtig, dass alle Mitarbeitenden sich offen und ohne Angst haben zu müssen an eine vertrauenswürdige Person wenden können.
Es ist schwierig, den Erfolg messbar zu machen. Als Unternehmen profitieren wir von der Diversität unserer Mitarbeitenden. Diversität steht unter anderem für unterschiedliche Ansichten, für vielfältige Ideen. Ich fände es sehr schade, wenn sich Menschen bei Freudenberg aufgrund ihres Geschlechts, Alters oder ihrer sexuellen Orientierung nicht öffnen und sich nicht trauen, Ideen ins Unternehmen einzubringen. Das darf nicht sein und ich habe den Eindruck, dass wir uns hier auf dem richtigen Weg befinden.